Management, oder: in eigener Sache

 

S’il ne fait pas beau à droite, je prends à gauche; si je me trouve peu apte à monter à cheval, je m’arrête…
Ai-je laissé quelque chose à voir derrière moi? J’y retourne; c’est toujours mon chemin. 
Je ne trace à l’avance aucune ligne déterminée, ni droite, ni courbe.

Michel de Montaigne, Essais III, 9

Ist's nach rechts nüscht, bieg ich halt links ab; tut mir der Arsch weh, lass ich’s Reiten sein…Hab’ ich was Hübsches übersehen? Rolle rückwärts: ist ja noch immer mein Weg. Ich leg mich erst mal auf nix Vorgezeichnetes fest. Auf keine Linie, nix stur nach vorn, noch was Krummes.

frei nach Montaigne


Statement, oder: Es war einmal

Lange Zeit hielt ich einen Flughafen für einen Ort, an dem Flugzeuge ankommen und abfliegen. Während dieses prosaischen Missverständnisses arbeitete ich für eine Fluggesellschaft. Ich habe alles gemacht, was man so machen kann: Ladepläne für eine B744 erstellen oder verlorene Gepäckstücke im World Tracer suchen. Habe die TIMATIC Reisebestimmungen gelernt: woher kommt der? Wo lebt er? Wohin will er? Wo war er vorher? Habe gelernt, eine Flughafenschicht lang wie das lächelnde Versprechen vom Erdbeerspeiseeisplakat auszusehen und auch dann noch nett zu lächeln, wenn jemand ausflippt:
„Ja wissen Sie denn nicht, wer ich bin?“

Später lebte ich als Expatriierter in einer enormen Tropenwolke unter rotierenden Expatriierten in Asien, Afrika und im Nahen Osten. Die Globalisierung flog Linie: zumindest ihr mittleres Management, das sich im Duty Free eindeckte.
Piff!
(Bei Ankunft erkennt man den Blender oft am Armani-Duft aus dem Arrival Duty Free.) 

Diese Phase der Globalisierung wirkte auf mich noch qualitativ hochwertig bei geringem Hardplastikanteil und vielleicht sogar ohne geplante Obsoleszenz.

Ich schüttelte einem afrikanischen Präsidenten die Hand. Inzwischen ist er weggeputscht. Ich aß mit dem ehemaligen Premierminister seines Vaters zu Mittag, dessen diplomatischer Reisepass nur noch eingeschränkt gültig war.
An Ausschreibungen in den palestinensischen Autonomiegebieten war ich beteiligt oder an humanitären CSR-Projekten ganz in der Nähe zur syrischen Wüste, wo wir eine Bibliothek in einem Women Safe House aufbauten. Darunter, würde ich jetzt gerne schreiben, war auch die arabische Übersetzung von Simone de Beauvoirs Das zweite Geschlecht.
Aber das wäre gelogen.
Ich baute Teams lokaler Mitarbeiter auf und baute sie wieder ab, lernte Krisenkommunikation und warum man nie etwas versprechen soll, das man weder wissen, noch halten kann.
Ich moderierte Veranstaltungen zwischen Management und Mitarbeitern. Einmal schrie ein Flugbegleiter vor zweihundert Teilnehmern schrill einen Topmanager an: er habe wegen der letzten Sparmaßnahmen ein Frühstücksei in der Business Class zweiteilen müssen.
Der Moderator blieb ernst, bemüht.
"Und? Was sagen Sie nun dazu?", bat ich die Führungskraft um Stellungnahme zur Apokalypse.
 
Ich wollte aber wieder spontan lachen dürfen. Mich nicht zusammenreißen müssen. Nicht einen auf professionell machen und dafür Pointen wegschmeißen.
Also habe ich ein paar Jahre später, als es an der Zeit war, den Abflug gemacht.


Was nun? Was tun?

Basis der hier gezeigten Arbeiten sind Fotografien. Ich respektiere die Fotografie zuallererst als Handwerk. Ich wiederhole den Satz: ich respektiere die Fotografie zuallererst als Handwerk.

Hauptsächlich arbeite ich mit Mehrfachbelichtungen. Mit mal komplexen, mal weniger komplexen Schichtungen mehrerer Bilder oder Bildelemente wie Geschichten innerhalb eines größeren Narrativs. Ohne die Möglichkeiten digitaler Bildbearbeitung würde ich nicht zu meinen Bilder finden. Wenn ich noch in Übung wäre, würde stattdessen wieder Höhlen bemalen.

Ich stimme nicht in den Abgesang auf die Fotografie mit ein. Jeder Abgesang hat auch etwas von schwächelnden, alternden Stimmbändern. Es lässt sich nicht immer mit Bestimmtheit sagen, ob die Diva nun wirklich von der Arie ästhetisch abgerückt ist, oder ob es die Arie selbst ist, die vor der Diva Reißaus nimmt.

Außerdem schreibe ich weitestgehend absichtsfrei Texte. Es geht mir weniger um das Festhalten von Situationen und Gedanken, um ein dokumentarisches So-und-nicht-anders-ist-es.
Die konkreten Beobachtungen sind Ausgangspunkt für etwas Mehrschichtiges. Für alles andere, das nicht war, aber genauso gut hätte sein können.

First you dance, then you think. It's the natural order,
soll Samuel Beckett gesagt haben.
Dieser natürlichen Ordnung folge ich. Ich versuche, Bilder und Gedanken tanzen zu lassen.
Erst über das Schreiben verstehe ich nach der großen Sause Schritte und Rhythmus eines Tanzes, der kaum mehr analoge Spuren hinterlässt.


Ground Operations

Ich arbeite Teilzeit als Deutschtrainer an einer Sprachschule in Basel.
Diese Arbeit gibt mir das Gefühl, etwas Sinnvolles dazu beizusteuern, jemandem dabei behilflich zu sein, seine Ausdrucksfähigkeit zu vergrößern, sozial zu reüssieren und sich neue Perspektiven erschließen zu können.
Entschuldigen Sie die Syntax des vorangegangenen Satzes. Der war zu lang.

Mein Studio befindet sich in Zell im Wiesental in einer ehemaligen Textil- und Aerosolefabrik.


September 2024
Till Heene



Abflug


Ankunft


Destination

2021


Fotograf, Autor und Deutschtrainer mit Schweizer SVEB-Zertifikat

2020

2021

Institut National de l'Audiovisuel (INA), Paris: Ausbildung zum Foto- und Videografen

2002

2019

Deutsche Lufthansa AG, Frankfurt, Singapur, Libreville und Beirut: Verschiedene Positionen von Fenster oder Gang? bis General Manager

2000

2002

Deutschlehrer in Cuenca (Spanien) und Reiseleiter in Mittel- und Südeuropa

1995

2000

Romanistikstudium in Freiburg, Granada und Toulouse.
Abschluss mit einer Magister-Arbeit an der Université Toulouse Le Mirail zur französischen Lexikologie

1992

1994

Studien in Kunstgeschichte und Germanistik in Freiburg; allerlei Nebenjobs wie Teefachverkäufer oder Vormann in der Tranistor- und Mikrochipproduktion

1975

1992

Kindergarten, Schule, Zivildienst

1971


Geburtszertifikat an der Universitätsklinik Marburg mit einer sprachpraktischen Übung zu den Vokalen und Diphtongen der vermutlich deutschen Sprache

Ausstellungen


Oktober 2024

Galerie Leupin, Basel. Kollektivausstellung mit einer Arbeit zu Robert Walser

September 2022

Beirut Image Festival

Oktober 2018 - Januar 2019

Salon d'Automne, Musée Sursock, Beirut